Bei Rockstar Games brennt es mal wieder – und diesmal geht es nicht um einen geleakten GTA-VI-Trailer oder Crunch-Geschichten, sondern um einen Discord-Server und interne Slack-Regeln. Laut einer neuen Recherche von People Make Games (PMG) sollen genau jene Chats in einem gewerkschaftsnahen Discord-Server als Begründung dafür dienen, dass Rockstar 34 Beschäftigte wegen angeblicher grober Verfehlungen vor die Tür gesetzt hat. 
Viele von ihnen waren gewerkschaftlich organisiert, der Vorwurf: Union Busting im ganz klassischen Stil.
Auslöser war der 1. November: An diesem Tag erfuhren Mitarbeitende in den Studios Rockstar North in Edinburgh und Rockstar Toronto, dass ihre Verträge mit sofortiger Wirkung beendet werden. Der Gewerkschaftsverband IWGB, der einen Teil der Belegschaft in Großbritannien vertritt, reagierte prompt und sprach von gezielten Angriffen auf besonders aktive Gewerkschaftsmitglieder. Rockstar wies das zurück und erklärte wenige Tage später, die Kündigungen hätten nichts mit Gewerkschaftsarbeit zu tun. Stattdessen sei von grobem Fehlverhalten die Rede, konkret dem Weitergeben und Diskutieren vertraulicher Informationen in einem „öffentlichen Forum“.
Genau an dieser Formulierung hakte die Diskussion schnell fest. Was soll dieses öffentliche Forum sein? Ein Subreddit, ein offener Discord, Twitter? Ein anonymer Rockstar-Angestellter schilderte auf GTAForums eine andere Version: Demnach bezieht sich die Firma auf einen privaten Discord-Server, der 2022 eingerichtet wurde, damit Beschäftigte und IWGB-Mitglieder untereinander über Arbeitsbedingungen, interne Politik und Organisation sprechen konnten. Zugang gab es nur nach Verifizierung, wildfremde Fans hatten dort nichts verloren.
Die neue PMG-Recherche stützt dieses Bild und bringt mehr Details ans Licht. Eine nicht gewerkschaftlich organisierte, aber gut informierte Quelle aus dem Unternehmen beschreibt gegenüber PMG, dass es in den betreffenden Nachrichten nicht um geheime Szenen aus GTA VI, nicht um Story-Leaks und auch nicht um Engine-Technik ging. Stattdessen drehte sich der Austausch um Änderungen an den internen Slack-Regeln: Im Oktober seien diverse „Misc“- und Off-Topic-Kanäle abgeschaltet worden, also genau jene Räume, in denen die Leute bisher über Alltagsthemen, Hobbys, Memes oder einfach mal ihren Frust loswerden konnten. In der Belegschaft bürgerte sich dafür schnell der sarkastische Begriff „Slack Purge“ ein.
Wer in der Spielebranche arbeitet, weiß, wie wichtig solche informellen Ecken sind. Sie sind der virtuelle Pausenraum, die Kaffeeküche zum Tippen: Man fragt nach, ob die eigenen Überstunden „normal“ sind, ob andere Teams ähnlich unter Druck stehen, teilt Sorgen und baut Spannungen ab. Wenn diese Luftlöcher plötzlich zugedreht werden, suchen Mitarbeitende sich andere Kanäle. Im Fall von Rockstar war das eben jener Discord-Server, der ausdrücklich für Gespräche über Arbeitsbedingungen und Organisierung gedacht war.
Nach Darstellung des IWGB und der von PMG befragten Personen war dieser Discord alles andere als ein offener Marktplatz. Wer hinein wollte, musste nachweisen, dass er oder sie für Rockstar arbeitet oder Mitglied der Gewerkschaft ist. De facto handelte es sich um einen digitalen Gewerkschaftsraum – ein Ort, an dem man über Schichtpläne, Homeoffice-Regeln, Kommunikationspolitik und die Folgen all dieser Maßnahmen sprechen konnte. Aus Sicht von Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtlern ist genau das im britischen Recht grundsätzlich geschützt: Beschäftigte dürfen sich zusammenschließen, Informationen zu ihren Arbeitsbedingungen austauschen und Druck aufbauen, ohne dafür sofort ihren Job zu verlieren.
Rockstar und Mutterkonzern Take-Two sehen das offenbar anders. Weil Discord nicht Teil der offiziellen Unternehmenskommunikation ist, sondern eine externe Plattform, wird jeder Screenshot und jede Zusammenfassung interner Richtlinien dort kurzerhand als Verstoß gegen die Vertraulichkeit gewertet. In der Logik der Anwälte: Wer interne Slack-Regeln in einem Discord teilt, trägt Unternehmensgeheimnisse nach draußen – ganz gleich, ob der Server geschlossen ist oder nicht.
Ob diese Argumentation vor Gerichten Bestand hat, ist offen. Der IWGB hat inzwischen zwei rechtliche Schritte gegen Rockstar eingeleitet. Im Zentrum stehen dabei Fragen, die weit über diesen Einzelfall hinausgehen: Gilt ein geschlossener, einladungsbasierter Server mit Identitätsprüfung wirklich als „öffentlicher“ Raum? Wo endet das legitime Interesse eines Unternehmens an Geheimhaltung und wo beginnt das Grundrecht der Beschäftigten, in ihrer Freizeit und auf ihren eigenen Geräten über ihren Arbeitsplatz zu sprechen?
Innerhalb der Firma ist der Konflikt längst eskaliert. Nach übereinstimmenden Berichten haben mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Solidaritätserklärung unterschrieben, in der sie die Wiedereinstellung der 34 Gekündigten fordern. Vor Rockstar-Büros in Edinburgh, London und Paris fanden bereits Protestaktionen statt. Plakate machten auf mögliche Einschüchterungstaktiken aufmerksam und warnten davor, dass dieser Fall zum Lehrstück für die gesamte Branche werden könnte.
Im Netz verläuft die Bruchlinie wie so oft. Auf der einen Seite stehen Spielerinnen, Entwickler und Gewerkschaftsaktive, die die Vorgänge als klares Signal lesen: Wer sich organisiert und offen über Missstände redet, kann ins Fadenkreuz geraten, besonders kurz vor einem Megarelease wie GTA VI. Auf der anderen Seite melden sich Stimmen, die jede Form von gewerkschaftlicher Organisation kritisch sehen und die alten Klischees wiederholen: Gewerkschaftsleute seien bequem, passten sich nicht an und suchten nur Gründe, weniger zu arbeiten. In Kommentarspalten liest man sinngemäß, man sei „selbst schuld, wenn man Interna rausposaunt“, oder, dass „in Gewerkschaften eh nur die Faulen landen“.
Dabei ist der Kontext klar größer als ein einzelner Discord-Server. Seit Jahren wird in der Games-Industrie über Kettenverträge, Crunch-Phasen und toxische Studiokultur diskutiert. Gewerkschaften und Betriebsräte entstehen nicht aus dem Nichts, sie sind eine Reaktion auf sehr reale Probleme. Befürworter argumentieren, dass ohne kollektiven Druck kaum ein großes Studio freiwillig an Lohnstrukturen, Überstundenregelungen oder Mitbestimmung rührt. Kritiker warnen vor mehr Bürokratie, höheren Kosten und starren Strukturen, die angeblich Kreativität und Tempo ausbremsen.
Der Rockstar-Fall fügt dieser Debatte eine digitale Dimension hinzu: Wie weit darf Kontrolle über Kommunikationskanäle gehen? Wenn ein geschlossener Discord als öffentlich neu definiert werden kann, wird praktisch jede Neben-Gruppe in WhatsApp, Telegram oder Signal zum Risiko. Beschäftigte müssen sich fragen, ob das harmlose Ranten über neue Regeln nicht irgendwann als Beweismittel in einem Disziplinarverfahren endet. Und Unternehmen müssen überlegen, ob sie wirklich die Kultur fördern wollen, in der sich alle aus Angst vor Konsequenzen nur noch in privaten Einzeldirektnachrichten äußern.
Für Rockstar scheint die Wette klar: maximale Auslegung von Vertraulichkeit, um in der heißen Phase von GTA VI jede Form von Leak oder Kontrollverlust im Keim zu ersticken. Für den IWGB und die Betroffenen steht dagegen das Prinzip auf dem Spiel, dass Gespräche über Arbeitsbedingungen im gewerkschaftlichen Kontext nicht als Verrat, sondern als legitime Selbstverteidigung gelten. Je nachdem, wie Gerichte entscheiden, werden andere Publisher und Studios genau hinschauen. Ein Sieg für Rockstar könnte sie ermutigen, ähnlich hart gegen externe Chat-Gruppen vorzugehen. Ein Erfolg für die Beschäftigten wiederum könnte Firmen zwingen, ihre NDA-Texte, Kommunikationsrichtlinien und ihren Umgang mit interner Kritik grundsätzlich zu überdenken.
Eines ist sicher: Hier geht es nicht um ein paar neugierige Blicke auf GTA VI, sondern um die Frage, wem Gespräche über Arbeit gehören – dem Unternehmen oder den Menschen, die diese Arbeit leisten. Die Entscheidung in diesem Streit wird weit über die Flure von Rockstar hinaus wirken und einen Ton setzen, wie Spielefirmen in Zukunft mit Slack, Discord, Gewerkschaften und ihrem eigenen Personal umgehen.