Der Kirin 9030, Huaweis nächster Flaggschiff-Chip für die Mate-80-Serie, ist endlich in der Datenbank von Geekbench 6 aufgetaucht und liefert damit die ersten harten Zahlen. Kaum waren die Scores sichtbar, wurde er sofort mit den aktuellen Schwergewichten Snapdragon 8 Elite Gen 5, Dimensity 9500 und Apples A19 Pro verglichen – und auf den ersten Blick sieht es böse aus: In vielen Charts hängt der Kirin weit abgeschlagen hinten, Überschriften sprechen von lächerlich langsam oder sogar komisch langsam. Wer aber nur auf ein paar Prozentzahlen und bunte Balken starrt, verpasst den eigentlichen Kontext, in dem dieser Chip überhaupt entstehen konnte.
Laut Eintrag in Geekbench 6 und Infos des Leakers Digital Chat Station setzt der Kirin 9030 auf ein Neun-Kern-Design im 1+4+4-Aufbau. 
Ein leistungsstarker Prime-Kern taktet bis zu 2,75 GHz, vier mittlere Kerne laufen mit 2,27 GHz und vier Effizienzkerne mit 1,72 GHz. Damit geht Huawei einen Schritt weiter als beim Kirin 9020 mit seinem Acht-Kern-Layout. Gefertigt wird das Ganze bei SMIC im sogenannten N+3-Prozess – einem Fertigungsverfahren, das deutlich hinter den modernen 3-nm-Nodes von TSMC und Samsung zurückliegt, auf die Apple, Qualcomm und MediaTek zurückgreifen können. Huawei entwickelt also High-End-SoCs mit angezogener Handbremse.
Die ersten gemessenen Werte sind nüchtern betrachtet enttäuschend. Im aktuellen Leak erreicht der Kirin 9030 rund 1.131 Punkte im Single-Core-Test und etwa 4.277 Punkte im Multi-Core-Durchlauf von Geekbench 6. Zum Vergleich: Ein Kirin 9020 liegt typischerweise bei 1.500 bis 1.600 Punkten im Single-Core und um die 5.000 Punkte im Multi-Core – je nach Gerät und Kühlung. Auf Basis dieser Zahlen wirkt der 9030 eher wie ein Rückschritt als ein Upgrade, weshalb in Foren und sozialen Netzwerken sofort die ersten Spottkommentare auftauchten und Screenshots herumgereicht wurden, in denen der neue Chip konstant am Tabellenende hängt.
Stellt man die direkten Konkurrenten daneben, wird der Abstand deutlich. Der Snapdragon 8 Elite Gen 5 kratzt mit rund 3.629 Punkten im Single-Core und 10.488 im Multi-Core an ganz anderen Dimensionen. Der Dimensity 9500 bringt es auf etwa 3.394 und 9.974 Punkte. Apples A19 Pro setzt sich mit ungefähr 3.920 Punkten im Single-Core und 10.011 im Multi-Core noch einmal oben drauf. Aus diesen Rohdaten basteln viele dann Schlagzeilen wie bis zu 300 Prozent oder 346 Prozent schneller, was im Kern nur bedeutet, dass die Konkurrenz drei bis viermal so viele Punkte einfährt wie der geleakte Kirin 9030.
Rechnerisch ist das alles nicht falsch, aber die Art, wie diese Prozentwerte präsentiert werden, wirkt oft eher nach Clickbait als nach echter Analyse. Wer nur liest, dass ein Chip 300 Prozent schneller sei, gewinnt den Eindruck, der Kirin 9030 sei praktisch unbrauchbar. Dabei blendet diese Erzählung komplett aus, unter welchen Restriktionen Huawei arbeitet und dass wir hier höchstwahrscheinlich ein frühes Sample mit unfertiger Firmware sehen – nicht das finale Ergebnis, das später im Mate 80 landen wird.
Digital Chat Station betont nämlich ausdrücklich, dass der getestete Kirin 9030 nicht mit voller Leistung läuft. Laut seinen Informationen wird der in großen Stückzahlen produzierte Chip im N+3-Prozess mit optimierten Taktraten und angepassten Energieprofilen ausgeliefert. In der Szene rechnet man damit, dass die Seriengeräte bei rund 1.700 bis 1.800 Punkten im Single-Core und ungefähr 6.000 Punkten im Multi-Core landen könnten. Damit würde der 9030 nicht nur deutlich über dem Kirin 9020 liegen, sondern sich grob in die Nähe eines Snapdragon 8s Gen 3 schieben – eines Chips, der erst 2024 vorgestellt wurde.
In diesem Licht schrumpft der Abstand zur Qualcomm-Spitze von gefühlten Welten auf ungefähr anderthalb Jahre technischer Rückstand. Das ist weit entfernt von Marktführung, aber es ist eben auch kein Totalausfall. Unter massiven US-Sanktionen, ohne Zugang zu modernster EUV-Belichtung und mit einem sichtbar älteren Fertigungsprozess überhaupt einen Neun-Kern-SoC in diese Leistungsklasse zu bringen, ist aus Ingenieurssicht bemerkenswert. Wer den Kirin 9030 nur anhand einer einzigen Leck-Messung als komplette Lachnummer abtut, unterschätzt, wie schwierig der Rahmen für Huawei und SMIC aktuell ist.
Dazu kommt, dass CPU-Benchmarks nur einen Teil des Alltags abbilden. Der Kirin 9030 soll mit einer Maleoon-935-GPU kombiniert werden, zu der es bisher kaum harte Daten zu Taktraten oder Shader-Konfigurationen gibt. Huawei investiert seit Jahren in eigene Grafiklösungen, KI-Beschleuniger und Optimierungen für HarmonyOS. Wie sich der Chip in Spielen, bei der Bildverarbeitung, im Kamera-Stack und in KI-Funktionen schlägt, hängt also stark von der Software ab. Für viele Nutzer ist am Ende wichtiger, wie schnell die Kamera startet, wie gut der Nachtmodus arbeitet und ob das Gerät den Tag ohne Nachladen übersteht – nicht, ob der Single-Core-Score drei oder vier Prozent höher ist.
Ein weiterer Punkt: Die Geekbench-Datenbank ist berüchtigt dafür, dass dort Prototypen mit Test-Firmware auftauchen. Manche Geräte laufen im extrem sparsamen Modus, andere haben aggressive Temperaturgrenzen, wieder andere nutzen noch fehlerhafte Treiber. Das entschuldigt keine schwachen Werte, relativiert aber die Aussagekraft einer einzelnen Messung. Seriös wird es erst, wenn unterschiedliche Reviewer Seriengeräte testen, mehrere Läufe durchführen und die Ergebnisse mit realen Nutzungsszenarien kombinieren.
Für potenzielle Käufer des Huawei Mate 80 lässt sich aktuell ein Zwischenfazit ziehen. Wer maximale Leistung für High-End-Gaming, Emulation oder produktive Workflows direkt auf dem Handy sucht, wird mit Snapdragon 8 Elite Gen 5, Dimensity 9500 oder A19 Pro weiterhin besser fahren. Wer hingegen vor allem auf Kameraqualität, Akkulaufzeit, das Huawei-Ökosystem und die Idee einer unabhängigen chinesischen Plattform Wert legt, könnte mit einem gut abgestimmten Kirin 9030 durchaus glücklich werden. Er wird die Benchmark-Spitzenreiter nicht entthronen, aber er könnte ein starkes Herz für Huaweis Flaggschiffe sein – gerade in einem Umfeld, in dem jedes Prozent Leistung gegen politische und technologische Hürden erkämpft werden muss.
Unterm Strich zeigt der Geekbench-Leak zweierlei: Ja, der Kirin 9030 liegt derzeit klar hinter den globalen Top-SoCs zurück. Aber er zeigt auch, dass Huawei trotz aller Blockaden Schritt für Schritt aufholt. Die Wahrheit wird am Ende irgendwo zwischen den dramatischen 300-Prozent-Memes und den nüchternen Daten der Seriengeräte liegen. Erst wenn die Mate-80-Reihe offiziell im Handel ist, wird sich zeigen, ob der Kirin 9030 nur ein weiterer Kompromiss unter Druck bleibt oder zum nächsten wichtigen Baustein von Huaweis langfristiger Chip-Strategie wird.