Auf dem roten Teppich zur Premiere der fünften und letzten Staffel von Stranger Things wirkten Millie Bobby Brown und David Harbour so harmonisch wie eh und je: Arm in Arm, vertraute Blicke, breitestes Promo-Lächeln. Die Fotos gingen um die Welt – und das nur wenige Tage nachdem ein britisches Boulevardblatt berichtet hatte, Brown habe vor Drehbeginn eine offizielle Beschwerde wegen Belästigung und Mobbing gegen ihren Serienvater eingereicht. 
Ausgerechnet der nostalgische Abschied von Hawkins wurde damit zum jüngsten Schauplatz der ewigen Debatte um toxische Sets und Medien-Hype.
Der Bericht der Daily Mail zeichnete ein dramatisches Bild: Brown soll sich intern bei Netflix über Harbours Verhalten am Set beschwert haben, woraufhin eine monatelange interne Untersuchung angestoßen worden sei. Von sexuellen Übergriffen war ausdrücklich nicht die Rede, stattdessen von „Belästigung“ und „Bullying“, von angespannter Stimmung und einer persönlichen Assistentin, die Brown angeblich konstant am Drehort begleitete. In sozialen Netzwerken reduzierte sich das Ganze schnell auf ein simples Narrativ: der geliebte Hopper-Darsteller als vermeintlicher Mobber, die einstige Serien-Teenagerin als Opfer – alles bequem in einen Tweet pressbar.
In genau diesem Klima entschied sich Millie Bobby Brown, sich erstmals ausführlicher zur Beziehung zu Harbour zu äußern. In einem Gespräch mit dem Branchenmagazin The Hollywood Reporter vermied sie es auffällig, Details zu bestätigen oder zu dementieren. Statt sich durch die einzelnen Vorwürfe zu arbeiten, sprach sie über eine gemeinsame Reise, die inzwischen ein Jahrzehnt umfasst: vom unbekannten Nachwuchstalent und Charakterdarsteller mit Kultstatus zu zwei der wichtigsten Gesichter der Streaming-Ära. Sie betonte, dass sie und Harbour in diesen zehn Jahren bewusst als Einheit aufgetreten seien – nicht nur, weil es der Job verlange, sondern weil sie die Serie liebten und ihre Freundschaft höher gewichteten als jede Schlagzeile.
Dass Brown bei der Premiere sichtbar eng an Harbours Seite blieb, war in diesem Kontext kein Zufall, sondern ein Statement ohne Worte. Auf der inhaltlichen Ebene beschrieb sie die Rückkehr ans Set als hochgradig nostalgisch. Die Dynamik zwischen Eleven und Hopper erinnerte sie – so Brown – stark an die zweite und dritte Staffel: ein jugendlicher Charakter, der erwachsen wird und seinen eigenen Willen durchsetzen will, prallt auf eine Vaterfigur, die alles kontrollieren möchte, um das Schlimmste zu verhindern. Genau dieser Konflikt, zwischen Fürsorge und Übergriff, zwischen Schutz und Bevormundung, war schon immer der emotionale Motor vieler Stranger-Things-Momente – und kehrt nun im Finale mit voller Wucht zurück.
Showrunner zwischen Familien-Rhetorik und Sicherheitsversprechen
Während Brown eher auf persönliche Töne setzte, wählten die kreativen Köpfe hinter der Serie eine deutlich offiziellere Sprache. Co-Schöpfer Matt Duffer sagte auf dem roten Teppich sinngemäß, er könne und wolle sich nicht zu konkreten internen Vorgängen äußern. Stattdessen betonte er, dass man nun seit zehn Jahren mit fast derselben Besetzung arbeite; bei dieser Zeitspanne fühle sich der Cast wie Familie an. In so einer Konstellation gebe es nichts Wichtigeres, als einen Arbeitsplatz zu schaffen, an dem sich alle sicher und respektiert fühlen.
Regisseur und Executive Producer Shawn Levy schlug in dieselbe Kerbe. Er erklärte, man habe von Beginn an Wert auf einen respektvollen, schützenden Rahmen gelegt. Er habe viele Geschichten und Versionen in den Medien gelesen, die von „stark übertrieben“ bis „einfach falsch“ reichten. Die Wahrheit, so Levy, sei weniger spektakulär: Man sehe Crew und Cast als Familie und behandle sich gegenseitig entsprechend. Es ist eine Antwort, die einerseits signalisiert, dass Beschwerden ernst genommen werden, andererseits aber jede konkrete Einordnung vermeidet – klassischer Spagat zwischen Fürsorge-Rhetorik und juristischer Vorsicht.
Fans zwischen „Sturm im Wasserglas“ und PR-Alarm
Wie so oft prallten im Netz sofort unterschiedliche Lesarten aufeinander. Ein Teil der Fanbase winkte ab: wieder einmal ein aufgeblasener Tabloid-Skandal mitten in der Promo-Phase, der ohne Social Media wohl längst vergessen wäre. Für diese Gruppe ist die Tatsache, dass Brown und Harbour entspannt gemeinsam über den Teppich laufen, schon Beweis genug, dass entweder nie so viel los war wie berichtet oder die Beteiligten das Thema längst intern geklärt haben.
Andere Zuschauerinnen und Zuschauer sind deutlich skeptischer. Sie hören in den Interviews vor allem sorgfältig polierte PR-Sätze: viel Rede über sichere Sets, familiäre Atmosphäre und gegenseitigen Respekt, aber keine klare Antwort auf die Frage, ob es nun eine Beschwerde gab, was genau untersucht wurde und mit welchem Ergebnis. Die Erinnerung an andere Fälle in der Entertainmentbranche ist präsent – wenn Andeutungen gemacht, aber keine Namen genannt werden, entsteht ein Vakuum, in dem sich Gerüchte festsetzen und jede Person plötzlich Projektionsfläche für Verdacht werden kann.
Hinzu kommt die Sorge vor langfristigen Kollateralschäden. Wenn der ursprüngliche Bericht übertreibt oder wesentliche Fakten auslässt, kann trotzdem ein Ruf dauerhaft beschädigt werden. Ein Begriff wie „Bullying-Beschwerde“ hängt schnell an einer Person, selbst wenn intern nichts nachweisbar war oder beide Parteien später wieder professionell zusammenarbeiten. In einer Kultur, in der der lauteste, skandalträchtigste Spin immer zuerst wahrgenommen wird, ist es schwer, ein differenziertes Bild nachzureichen.
Hollywoods Vertrauenskrise im Kleinformat
Der Fall Brown/Harbour ist damit mehr als nur Klatsch aus Hawkins – er ist ein kleines Lehrstück darüber, wie kompliziert die Balance inzwischen geworden ist. Auf der einen Seite steht eine absolut notwendige Entwicklung: dass junge Darstellerinnen, marginalisierte Gruppen und Menschen in verletzlichen Positionen strukturelle Probleme am Arbeitsplatz offen ansprechen können, ohne ihre Karriere zu riskieren. Auf der anderen Seite steht eine wachsende Müdigkeit gegenüber halbgaren Erzählungen, in denen immer etwas im Dunkeln bleibt, aber das Publikum schon längst aufgefordert ist, moralisch Position zu beziehen.
Stranger Things trifft diese Spannungen besonders empfindlich, weil die Serie weit über normales Popcorn-Entertainment hinausgewachsen ist. Sie hat das Image von Netflix geprägt, Kinder zu Weltstars gemacht und sich in die Nostalgie-Gefühlswelt eines ganzen Publikumsjahrgangs eingebrannt. Wenn ein solcher Meilenstein in seine letzte Staffel geht, wollen Fans eigentlich über Theorien, Abschiede und Gänsehautmomente sprechen – nicht über HR-Berichte, Compliance-Schulungen und semikonkrete Vorwürfe.
Die Entscheidung von Millie Bobby Brown, den Fokus auf Freundschaft, gemeinsame Geschichte und Liebe zum Projekt zu legen, ist deshalb durchaus logisch. Sie schützt ihre Privatsphäre, sichert die reibungslose Vermarktung des Finales und überlässt es dem Publikum, die Lücken nach eigenem Bauchgefühl zu füllen. Manche lesen darin eine erwachsene, fast stoische Haltung: kein Öl ins Feuer, keine Schlagzeilen mehr füttern. Andere sehen darin eine subtile Form von Schadensbegrenzung, die Emotionen in den Vordergrund stellt, um gar nicht erst in die Tiefen eines möglicherweise unangenehmen Konflikts eintauchen zu müssen.
Währenddessen liefert Stranger Things weiter Rekorde
Parallel dazu macht die Serie genau das, was sie seit Jahren tut: Sie dominiert die Startseite von Netflix. Die ersten vier Folgen der finalen Staffel brachten den Dienst zeitweise ins Straucheln, so groß war der Andrang. Der Rest der Staffel soll Ende Dezember erscheinen, gekrönt von einem abendfüllenden Finale am 31. Dezember – ein Abschied im Format eines Blockbusters, pünktlich zum Jahreswechsel.
Ross Duffer nutzte die Gelegenheit bereits, um dem Publikum ans Herz zu legen, die berüchtigten „Seifenoper“-Einstellungen moderner Fernseher wie übertriebenes Motion Smoothing auszuschalten, damit Bildsprache und Atmosphäre so wirken, wie das Team sie komponiert hat. Die Liebe zum technischen Detail steht damit in einem interessanten Kontrast zur zurückhaltenden Kommunikation in der Causa Brown/Harbour. Während bei Bild und Ton alles bis ins Kleinste kontrolliert wird, bleibt der Blick hinter die Kulissen auffallend unscharf.
Fest steht im Moment nur: Millie Bobby Brown und David Harbour treten weiterhin Seite an Seite auf. Die Showrunner schwören auf ein sicheres, respektvolles Arbeitsumfeld und betonen, wie wichtig ihnen ihr Ensemble sei. Dazwischen liegt eine große graue Zone, gefüllt mit internen Prüfungen, vertraulichen Gesprächen, widersprüchlichen Medienberichten und einer Öffentlichkeit, die gelernt hat, jede Andeutung in Echtzeit zu sezieren.
Vielleicht wird all das leiser, wenn der letzte Abspann über den Bildschirm läuft, die Fans sich von Eleven, Hopper und Hawkins verabschiedet haben und der Fokus endgültig wieder auf dem liegt, was Stranger Things überhaupt erst so groß gemacht hat: starke Figuren, große Emotionen und das Gefühl, für ein paar Stunden in eine andere Welt abzutauchen. Bis dahin versucht die Serie, etwas Seltenes zu schaffen: ihr eigenes Ende zu inszenieren, während sie gleichzeitig die Forderung nach Transparenz, den Schutz der Beteiligten und den nie satt werdenden Nachrichtenhunger der Online-Welt ausbalanciert.