
Hast du beim Scrollen durch den App Store schon mal gedacht: "Woher wissen diese Banner bitte so genau, was mich interessiert, obwohl ich überall auf ‘App nicht nachverfolgen’ tippe?" Genau diese Frage stellt sich jetzt auch die polnische Wettbewerbsbehörde – allerdings auf amtlichem Briefpapier. Im Zentrum steht Apple und die Vermutung, dass der Konzern seine strengen Datenschutzregeln für andere gnadenlos durchsetzt, sich selbst aber eine bequemere Sonderrolle gönnt.
Apple inszeniert sich seit Jahren als Gegenmodell zur Datenkrake: Das Geschäft sei der Verkauf von Hardware, nicht der Handel mit persönlichen Informationen. Ein zentrales Element dieser Erzählung ist App Tracking Transparency, kurz ATT. Seit der Einführung auf iPhone und iPad müssen Apps ausdrücklich um Erlaubnis bitten, wenn sie Nutzerinnen und Nutzer über verschiedene Anwendungen und Webseiten hinweg verfolgen wollen. Für die Werbeindustrie war das ein Erdbeben; viele Geschäftsmodelle brachen über Nacht weg oder mussten komplett umgebaut werden.
Technisch gesehen ordnet ATT jedem Gerät einen anonymisierten Identifikator zu. Laut Apple enthält dieser keine offensichtlichen persönlichen Daten wie Namen oder E-Mail-Adressen. Will ein Drittanbieter-App diesen Identifikator nutzen, um Nutzungsverhalten app-übergreifend auszuwerten, muss zunächst ein Systemdialog erscheinen: Erlaubst du das Tracking oder nicht? Wer "Nicht erlauben" antippt, entzieht der App einen Großteil der feingranularen Datenbasis – und damit häufig auch die Grundlage für personalisierte Werbung.
Genau hier setzt der Verdacht der polnischen Behörde UOKiK an. Sie hat ein formelles Wettbewerbsverfahren gegen Apple eingeleitet und prüft, ob der Konzern seine eigenen Dienste, etwa den App Store, an den ATT-Regeln vorbeischleust. Die Kernfrage: Gilt die strenge Pflicht zum Einholen von Tracking-Einwilligungen wirklich auch für Apple selbst – oder nur für alle anderen?
Das Szenario, das die Ermittler skizzieren, ist brisant. Wenn Apples eigene Apps und Plattformen formal nicht als "Tracker" im Sinne von ATT gelten, könnte der Konzern den anonymisierten Identifikator und zusätzliche Nutzungsdaten weiterhin nutzen, um Werbung in der App Store-Oberfläche gezielt zuzuschneiden – ohne dass je ein Einwilligungsfenster aufpoppt. Unabhängige Publisher und Entwickler tragen das Risiko, dass Nutzer das Tracking ablehnen und ihre Werbeeinnahmen wegbrechen, während Apple im Hintergrund seine Werbealgorithmen füttert. UOKiK-Chef Tomasz Chróstny spricht in diesem Zusammenhang von einem möglichen Wettbewerbsvorteil, der Apple gegenüber kleineren Marktteilnehmern unzulässig stärke.
Apple weist die Vorwürfe zurück. ATT sei entwickelt worden, um eine ausufernde Tracking-Industrie einzubremsen, die Profile über Menschen erstellt, indem Daten aus Dutzenden fremder Apps und Websites zusammengeführt werden. Der Konzern betont, dass sein eigenes Werbesystem viel enger begrenzt sei und der anonymisierte Identifikator nicht mit Personendaten zusammengeführt werde, um umfassende Schattenprofile zu bauen. Aus Apples Sicht ist ATT ein Werkzeug, das Millionen Nutzern mehr Transparenz und Kontrolle verschafft – und der Widerstand komme vor allem von Firmen, die bisher sehr gut mit intransparentem Tracking verdient hätten.
Zwischen den Zeilen droht Apple allerdings auch: Sollte der regulatorische Druck in der EU zu groß werden, könnte man gezwungen sein, ATT dort komplett abzuschalten. Das wäre ein radikaler Schritt und würde ausgerechnet den datenschutzbewussten Nutzerinnen und Nutzern das wichtigste Instrument nehmen, das Apple ihnen in den letzten Jahren an die Hand gegeben hat. Zugleich ist es ein Signal an die Politik: Wenn jeder Datenschutzfortschritt automatisch als potenzieller Wettbewerbsverstoß gewertet wird, sinkt die Bereitschaft, solche Funktionen überhaupt zu entwickeln.
Die Polensache ist kein Einzelfall. Auch Behörden in Deutschland, Italien und Rumänien untersuchen, wie Apple Daten rund um Apps und Werbeplätze nutzt und ob ATT in der Praxis fair umgesetzt wird. Der größere Rahmen dafür ist der europäische Digital Markets Act (DMA). Darin wird Apple als sogenannter "Gatekeeper" eingestuft – als Konzern, der so mächtig ist, dass er faktisch kontrolliert, wer unter welchen Bedingungen Zugang zu den Nutzerinnen und Nutzern seiner Plattformen bekommt.
Als Gatekeeper muss Apple in der EU bereits Zugeständnisse machen: So wurden neue Wege für alternative App-Marktplätze geschaffen, und die Konditionen für Entwickler, etwa bei Gebührenmodellen, sind angepasst worden. Regulierung und Konzern streiten nun darüber, ob ATT ein weiterer Hebel ist, mit dem Apple gleichzeitig Privatsphäre-Imagepflege betreibt und die eigenen Werbeangebote begünstigt. Denn je schwerer es für klassische Adtech-Anbieter wird, Nutzer zu tracken, desto attraktiver werden die hoch integrierten Werbeflächen direkt im Apple-Ökosystem.
Für iPhone-Besitzerinnen und -Besitzer reduziert sich der juristische Schlagabtausch auf zwei unangenehme Fragen. Erstens: Gelten die Versprechen, die unter "Datenschutz" in den iOS-Einstellungen stehen, wirklich im gleichen Maß für alle – inklusive Apple? Zweitens: Wie "anonym" ist ein Identifikator noch, wenn er mit App-Store-Suchen, Download-Historie und Nutzungsmustern verknüpft wird? Auch ohne Klarname entsteht so leicht ein detailliertes Profil mit Vorlieben, Zahlungsbereitschaft und Nutzungsgewohnheiten.
Wie das Verfahren am Ende ausgeht, ist offen. Möglich ist, dass Apple gezwungen wird, auch für eigene Apps und Services deutlich sichtbare Einwilligungsdialoge einzuführen, bestimmte Formen personalisierter App-Store-Werbung zu verbieten oder sich mit saftigen Bußgeldern und laufender Überwachung seiner Praktiken abzufinden. Der Fall dürfte ein Präzedenzbeispiel dafür werden, wie weit große Plattformen in der EU gehen dürfen, wenn sie sich zugleich als Datenschutz-Champions und als Werbeanbieter positionieren. Bis dahin bleibt beim Blick auf den nächsten "Nur für dich"-Banner im App Store ein flaues Gefühl: Ist das wirklich mein bewusster Wunsch nach Relevanz – oder eher das Ergebnis einer Lücke im System, das mich eigentlich schützen sollte?