
OnePlus 15: wenn ein heißer Flaggschiff-Start zur Imagefrage wird
Der OnePlus 15 hätte eigentlich ganz klassisch in die Saison der neuen Android-Flaggschiffe starten sollen: viel Marketing, glänzende Benchmarks und ein paar übliche Kinderkrankheiten. Stattdessen redet die Community gerade weniger über Features und mehr über Hitze, einen verschwundenen X-Post und das Krisenmanagement der Marke. Auslöser war der Bericht eines bekannten Leak- und Testers, dessen Kritik an der Temperaturentwicklung des OnePlus 15 nach kurzer Zeit von der Plattform verschwand – angeblich auf Wunsch von OnePlus selbst. Genau das hat aus einem technischen Problem eine Vertrauensfrage gemacht.
Der betreffende Tester, Debayan Roy, schilderte ein sehr konkretes Szenario: Winterwetter, Dreh draußen, 4K-Video mit 60 fps, also ein realistischer Härtetest für jedes moderne Smartphone. Nach seinen Angaben kletterte die Temperatur des OnePlus 15 innerhalb von wenigen Minuten auf rund 50 Grad Celsius. Die Folge: Die Aufnahme brach automatisch ab und die Kamera-App verweigerte für einige Minuten komplett den Dienst. Für ein Gerät, das als kompromissloser Premium-Begleiter vermarktet wird, ist das eine unangenehme Überraschung.
Wichtig ist dabei: Roy betonte auch, dass sich der OnePlus 15 im normalen Alltag völlig unauffällig verhält. Scrollen durch Social Media, Surfen, Chatten, ein paar Fotos hier und da – all das funktionierte laut ihm flüssig und ohne, dass das Gerät sich permanent in eine Handheizung verwandelt. Die Probleme tauchten erst auf, als der Snapdragon 8 Elite Gen 5 über längere Zeit am Limit lief und Kamera, Bildverarbeitung und Display gemeinsam maximal gefordert wurden.
Snapdragon 8 Elite Gen 5: Notebook-Leistung im Hosentaschen-Formfaktor
Damit sind wir bei der technischen Wurzel des Ganzen. Der Snapdragon 8 Elite Gen 5 ist ein echtes Kraftpaket und gehört zu den aggressivsten High-End-Chips, die Qualcomm je gebaut hat. Unter Volllast kann der SoC Größenordnungen von rund 22 Watt erreichen – Werte, die man sonst aus der Welt schlanker Ultrabooks kennt. Dort sitzen die Komponenten allerdings in einem größeren Gehäuse mit viel Metall, Heatpipes und mindestens einem Lüfter, der bei Bedarf auf mehrere Tausend Umdrehungen pro Minute hochfährt.
Gaming-Notebooks mit Prozessoren wie dem Intel Core i9-14900HX liegen in einem ähnlichen Rahmen: Selbst im Idle-Betrieb ziehen sie oft schon um die 15 Watt und bewegen sich dabei temperaturmäßig in Bereichen jenseits der 60 Grad Celsius. Der Unterschied: Sie haben Platz für massive Kühlsysteme und können die Abwärme aktiv wegblasen. Ein Smartphone dagegen ist dünn, dicht gepackt und muss lautlos bleiben. Die Hitze staut sich in einem kleinen Verbund aus Glas, Kunststoff und Metall – und genau dort sitzt dann ein Chip, der Leistung auf Laptop-Niveau liefern soll.
Hersteller versuchen, diesen physikalischen Spagat mit immer größeren Vapor-Chambers, dickeren Graphitlagen und ausgefeilten Algorithmen für Temperaturmanagement zu meistern. OnePlus wirbt damit, dass die Dampfkammer im OnePlus 15 deutlich gewachsen sei und die Wärmeableitung gegenüber der Vorgängergeneration verdoppelt wurde. Im Alltag scheint das zu funktionieren: Viele Nutzer werden das Gerät im Alltag höchstens als „handwarm“ erleben. Aber sobald die Last über längere Zeit hoch bleibt, zeigt sich, wie eng der thermische Spielraum wirklich ist.
Benchmarks, Stresstests und der Punkt, an dem es zu viel wird
Schon erste synthetische Tests deuten an, dass der OnePlus 15 keine große Freude an Dauerstress hat. In Benchmarks wie 3DMark Wild Life Extreme oder bei langen Gaming-Sessions soll der SoC zügig hohe Temperaturen erreichen und anschließend drosseln, um sich zu schützen. Thermal Throttling ist dabei nichts Ungewöhnliches; praktisch jedes aktuelle Flaggschiff bremst sich irgendwann selbst aus. Entscheidend ist, wie schnell das passiert und wie radikal die Leistung einbricht.
Die Schilderung von Roy passt perfekt in dieses Bild. 4K60-Videoaufzeichnung ist eine der forderndsten Alltagsanwendungen überhaupt: Der Chip muss fortlaufend encodieren, HDR und Bildstabilisierung stemmen, während das Display draußen oft bei voller Helligkeit läuft. Wenn ein Smartphone unter solchen Bedingungen bereits im Winter nah an 50 Grad heranläuft und dann erst die Aufnahme stoppt und danach die Kamera blockiert, ist die Frage nicht weit: Was passiert im Hochsommer auf dem Asphalt, im Urlaub am Strand oder bei einem langen Konzertmitschnitt?
Vom Technikthema zum PR-Eklat
Bis hierhin wäre das Thema ein klassischer Fall von „zu viel Leistung, zu wenig Kühlfläche“ – keineswegs schön, aber im Android-Oberhaus seit der Snapdragon-888-Generation leider kein Einzelfall. Brisant wurde die Sache erst, als Roy berichtete, OnePlus habe ihn gebeten, den kritischen X-Post zu löschen. Anstatt sich mit der Community offen über Firmware-Optimierungen, Temperaturgrenzen und mögliche Updates auszutauschen, entstand der Eindruck, man wolle die negative Seite der Medaille lieber aus der Öffentlichkeit heraushalten.
Genau hier setzt der bekannte Streisand-Effekt ein: Was man leise halten möchte, wird plötzlich sehr laut. In Foren und Kommentarspalten wird nicht mehr nur über die Hitze des OnePlus 15 diskutiert, sondern auch darüber, wie ernst die Marke unabhängige Stimmen nimmt. Nutzer ziehen Parallelen zu anderen Hersteller-Pannen, machen sich über „chinesische Qualitätstests“ lustig und erinnern daran, dass viele Snapdragon-8-Flaggschiffe seit Jahren mit hohen Temperaturen kämpfen – OnePlus steht jetzt lediglich besonders sichtbar im Rampenlicht.
Das Problem: In Zeiten von Social Media ist Transparenz oft die einzige Währung, die langfristig funktioniert. Wer versucht, kritische Stimmen aus dem Feed zu schieben, riskiert, dass genau diese Beiträge sich anderswo doppelt schnell verbreiten. Damit steht plötzlich nicht mehr nur der Snapdragon 8 Elite Gen 5 am Pranger, sondern das gesamte Kommunikationsverhalten des Herstellers.
Was potenzielle Käufer vom OnePlus 15 erwarten sollten
Trotz aller Aufregung lohnt sich ein nüchterner Blick. Ein einzelnes Review-Gerät, das in einem speziellen Szenario überhitzt, bedeutet nicht automatisch, dass jedes Retail-Gerät identisch reagiert. Fertigungstoleranzen, Softwareversionen, Hüllen, Displayschutzfolien und persönliche Nutzungsgewohnheiten spielen eine große Rolle. Zudem kann OnePlus mit Updates nachsteuern, zum Beispiel, indem man die Leistungsabgabe in bestimmten Modi reduziert oder die Temperaturkurve anpasst.
Für den typischen Nutzer, der hauptsächlich chattet, durch Feeds scrollt, mal ein Foto schießt und ab und zu ein Spiel startet, dürfte der OnePlus 15 trotz allem ein sehr schnelles und meist unproblematisches Gerät sein. Spannend wird es für Power-User: Content-Creator, die lange 4K- oder 4K60-Clips drehen, Mobile-Gamer mit mehrstündigen Sessions oder Nutzer, deren Alltag aus permanenter Navigation, Hotspot und Kamera besteht. Genau diese Zielgruppe achtet besonders auf Stabilität unter Last – und ist lautstark, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden.
Hitze ist erklärbar – Schweigen nicht
Am Ende ist die Physik der Überhitzungsberichte leicht zu verstehen: einen Chip, der bis zu 22 Watt ziehen kann, in ein dünnes, lüfterloses Gehäuse zu packen, ist und bleibt ein Kompromiss. Dass Geräte in Grenzsituationen warm werden oder Funktionen zeitweise zum Selbstschutz abschalten, ist nicht die eigentliche Überraschung. Die größere Frage ist, wie offen ein Hersteller damit umgeht.
OnePlus hätte die Chance gehabt, den Fall zum Positivbeispiel zu machen: den geschilderten Bug anerkennen, transparent erklären, welche Schutzmechanismen greifen und welche Verbesserungen per Update geplant sind. Stattdessen dominiert nun die Erzählung vom gelöschten Post und der sensiblen PR-Abteilung. Nutzer können akzeptieren, dass ein High-End-Smartphone unter Volllast heiß wird. Schwerer zu akzeptieren ist das Gefühl, dass Kritik lieber zum Verschwinden gebracht wird, als dass man sie ernst nimmt.